Interview mit Oliver Gies beim Workshop zum 125-jährigen bestehen des Solmser Sängerbundes in Krofdorf-Gleiberg
Oliver Gies: „Ich glaube nicht an ein Chorsterben, da wahnsinnig viele neue Chöre entstehen – Ich finde es langweilig, wenn ein Chor perfekt singt, aber dabei keine Emotionen transportiert“in
Wettenberg-Krofdorf-Gleiberg ( wh ). Der Workshop des Solmser Sängerbundes (SSB) im Jahre seines 125jährigen Bestehens mit dem seit Herbst letzten Jahres existierenden 85köpfigen Jubiläumschores bot Gelegenheit mit dem Leiter des Workshops, Oliver Gies, im Ev. Gemeindehaus in Krofdorf ein Interview zu führen. – Oliver Gies, 1973 in Walsrode geboren, lies es sich am Samstag nicht nehmen, an seinem 42. Geburtstag mit dem Jubiläumschor einen Workshop mit vielen praktischen Tipps und Anregungen zugeben. Die Erfahrungen des Workshops werden sich in zahlreichen Chören des SSB multiplizieren, da die Chormitglieder aus zahlreichen Vereinen des Einzugsbereiches des SSB kommen. Gies ist Mitglied der bekannten deutschen a capella-Gruppe MAYBEBOP und in dieser Formation zuständig für Songwriting und Arrangements. Darüber hinaus arrangiert er sehr erfolgreich aktuelle Popsongs für Chöre und leitet Workshops für Chorleiter und Chöre, indem er seine reichen Erfahrungen und seinen Ideenreichtum weitergibt. Gies hat ursprünglich Musik und Mathematik auf Lehramt studiert und dann ein Aufbaustudium in Komposition/Arrangement absolviert. – Sympathisch, unkompliziert und auf die Chormitglieder zugehend, ausgestattet mit großer Fachkompetenz – so erlebten die Mitglieder des Jubiläumschores beim Workshop Oliver Gies. Der Chor sang beim Jubiläumskonzert des SSB mit dem Konzert von MAYBEBOP einige von Gies arrangierte Lieder. - Unser Mitarbeiter Klaus Waldschmidt hatte nach den Krodorfer Workshop Gelegenheit ihn zu den Themen wie Literatur, Chorpräsentation und Nachwuchssorgen zu befragen.
Befragung
K.W.: Was motiviert Sie persönlich, solche Workshops für Chöre zu geben?
Oliver Gies: Die Arbeit mit Menschen macht mir Spaß. Man kriegt viel Energie, die man hin- und hergibt. Das mag ich sehr.
K.W.: Welche Elemente sind für einen Chor wichtig, damit er zukunftsfähig wird?
Oliver Gies: Ich glaube nicht an ein Chorsterben, weil wahnsinnig viele neue Chöre entstehen. Die Chöre erfinden sich neu, singen neue Songs. Männerchöre, die „nur“ Silcher-Chöre singen, sterben aus. Das ist so. Zu den innovativen Elementen in einer sich verändernden Gesellschaft ist es für Chöre wichtig, junge Leute durch populäre Musik anzuziehen. Vielleicht sind in einigen Jahren Beatle-Songs, die heute in sind, auch nicht mehr populär beim Publikum.
K.W.: Welche Erfahrungen haben sich konkret aus ihren Workshops ergeben?
Oliver Gies: Ich beobachte häufig, dass Sängerinnen und Sänger in den Chören nur einen Bruchteil ihrer Ausdrucksmöglichkeit (ihrer Stimme) nutzen. Sprache ist vielseitig, auch im Alltag. Viele haben Schwierigkeiten, dies im Singen mit rüber zu nehmen. Der Alltag beeinflusst wie ich selber singe. – Für mich ist es Gold wert, zu sehen und zu hören, wie meine Arrangements von den Chören gesungen werden. Es ist ein Test, ob sie sich im Alltag bewähren.
K.W.: Wo sehen sie Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Nachwuchswerbung oder der Werbung neuer Sängerinnen und Sänger?
Oliver Gies: Dinge singen, die junge Sänger gerne singen. Sei da abholen wo sie sich gerade befinden oder auch zu alten Dingen Zugänge schaffen und neu präsentieren, zeigen, dass sich auch heute noch was mit uns zu tun haben.
K.W.: Wie sollte sich ein „moderner und zeitgemäßer“ Chor dem Publikum präsentieren?
Oliver Gies: Ich finde es langweilig, wenn ein Chor peferkt singt, aber dabei keine Emotionen transportiert. Ich selbst lasse mich gerne auf Kosten von Perfektion mitreißen.
K.W.: Wie sehen Sie in Zukunft den Stellenwert der Chöre in den Städten und Dörfern?
Oliver Gies: Sowohl in den Städten auch in den Dörfern sind die Chöre sehr aktiv. Auch in den Städten gründen sich ständig neue Chöre und Chorformationen. Jeder kann singen und kann sich musikalisch ins Spiel bringen.
K.W.: Wie hoch schätzen Sie die Geselligkeit und nicht sängerischen Aktivitäten einer Chorgemeinschaft ein?
Oliver Gies: Sehr hoch! – Wenn es kein Miteinander gibt, gibt es auch kein Miteinander im Musizieren.
K.W.: Wie haben Sie heute die Atmosphäre hier beim Workshop zum 125jährigen Bestehen im Krofdorfer Gemeindehaus empfunden?
Oliver Gies: Sehr nett. Die Leute waren sehr offen. Ich bin manchmal sehr impulsiv, aber das hat mir keiner übel genommen. Alle sind mit mir gekommen auf meine „Reise“.
K.W.: Was haben Sie den Chören heute als (besondere Aufgaben und Ziele) für ihre künftige Arbeit mitgegeben?
Oliver Gies: Zwei große Themen habe ich quasi „aufgegeben“: Die dynamische Spannweite vom lauten, aber auch dem viel leiser Singen und die innere Einstellung zum Singen. Unterschiedliche Stücke erfordern unterschiedliche Einstellungen und kommen so sehr verschieden zum Klingen.
Herr Gies, vielen Dank für das Gespräch.